Die Faszination für Bhutan hat mich auf meiner ersten Reise in dieses Land gleich gepackt. Bei meiner zweiten Reise in diesem Frühjahr war ich etwas angespannt – ob wohl meine hohen Erwartungen erfüllt werden? Hat sich das Land verändert und ist nicht mehr gleich faszinierend? Werden meine Gäste genauso fasziniert sein wie ich oder ist es nur mein eigener, subjektiver Eindruck? Und wie relativiert sich der Eindruck, wenn man schon einiges kennt? Fragen über Fragen – aber dann kam alles gut!
Von Kathmandu dauert der Flug entlang der Himalaya Bergkette nur rund eine Stunde. Fantastische Ausblicke auf die höchsten Berge der Welt begleiten uns. Dann folgen die ersten hohen Berge Bhutans, der Jomolhari und der Jichu Drake und schon biegen wir in einer eleganten S-Kurve in das Tal von Paro ein. Schon beim Aussteigen begrüsst die junge Königsfamilie die ankommenden Gäste freundlich. Ich fühle mich gleich zu Hause – warum wohl? Ich kenne den König ja gar nicht persönlich und trotzdem strahlen er und seine Familie eine Ruhe, Freundlichkeit, Menschlichkeit und Respekt gegenüber anderen aus. Eigentlich erstaunlich, welche Wirkung so ein Bild haben kann. Und übrigens – die Königsfamilie ist gleich gekleidet wie alle anderen in diesem Land, bescheiden, menschlich, ohne Pomp.
Da erwacht es schon wieder, dieses besondere Bhutan-Gefühl. Was ist es? Schwer zu beschreiben – am ehesten vielleicht mit Worten wie Ruhe, Gelassenheit, Menschlichkeit, Freundlichkeit. Ich bin gleich wieder mittendrin, wie wenn ich nicht 18 Monate weg gewesen wäre, und es bleibt, bis ich das Land wieder verlasse. Nach zehn Tagen reisen wir alle zurück nach Kathmandu, wieder den Bergen entlang. Diesmal jede und jeder einzelne von uns um eine fantastische Erfahrung reicher, ein bisschen traurig zwar, dass es schon vorbei ist, aber umso glücklicher, diese Erfahrung gemacht haben zu dürfen.
Aber was macht denn diese Faszination aus? Woher kommt sie? Ich habe mal bei meinen Gästen nachgefragt, was es bei ihnen ausmacht. Und ich habe spannende Antworten bekommen, alle sind von den Erlebnissen noch erfüllt.
Wir haben ein Land erlebt, dessen Staatsziel das Glück seiner Bürger ist, mit einer weisen, königlich verordneten Demokratisierung und Gleichberechtigung, mit freundlichen Menschen, mit einem grossen Gemeinsinn und Harmoniebedürfnis und mit einer nationalen Kleiderordnung. Und dazu viele moderne Einflüsse, aufgeschlossene Menschen, die sich der Modernisierung nicht verschliessen und manchmal ihr persönliches Glück im Ausland suchen. Widersprüche? Ja, vielleicht macht es gerade das aus – es gibt einen Grundkonsens im Land, aber jede und jeder kann nach seiner Art glücklich werden. Es gibt viele Traditionen, die uns vielleicht weniger verständlich sind. Als Beispiel sei hier nur erwähnt, dass, wer heiraten will, die Partnerwahl vom Astrologen überprüfen lässt. Und trotzdem verschliessen sich die Menschen den modernen Errungenschaften nicht. Alle haben ihr Smartphone, der Handyempfang ist hervorragend, sie sind informiert und kennen die Annehmlichkeiten des Lebens. Wir fühlen uns nie in einem Entwicklungsland – alles hat seine Ordnung. Aber auf einem anderen Level wie bei uns – etwas bescheidener, etwas rücksichtsvoller, etwas dankbarer.
«Ein Land der Ruhe, im Umbruch mit streng buddhistischen Traditionen einerseits und digital erfahrenden Mönchen andererseits. Ein Land, das sich im Einklang mit der Natur von Wasserkraft, von den Früchten seines Bodens und seinen glücksuchenden Besuchern ernährt» – so hat es unser Freund Frank treffend ausgedrückt. Das macht es wohl aus, Freundlichkeit, Bescheidenheit, Rücksichtnahme und trotzdem durchaus modern und geschäftig – eigentlich ein Modell dafür, wie man sein Zusammenleben auch anders gestalten kann. Vielleicht ein Zustand nach dem wir uns etwas sehnen? Wenn man unsere westliche Welt anschaut, könnte man schon etwas eifersüchtig werden. Obwohl dort leben für uns auch schwierig wäre. Wir haben ein anderes Modell gesehen und erlebt – und es funktioniert.
Hedi hat es etwas anders ausgedrückt: «Der Natur alles unterzuordnen, hinterlässt ein Gefühl, welches sich tief bei uns eingegraben hat. Es scheint doch möglich und gibt Hoffnung für die Welt. Zufriedenheit braucht weniger, als wir meinen. Dieses Bewusstsein sollte uns dankbarer machen». Und Frank ergänzt: «Ein Land mit einer einzigartigen weitgehend unberührten Landschaft, mit vielen Bäumen, je nach Jahreszeit Rhododendren und anderen Blumen und mit dem Takin als Nationaltier». Ja, lieber Frank, das Takin ist in seiner wenig hochmütigen Art vielleicht gerade das perfekte Nationaltier für Bhutan.
Der Staat hat es als grosses Ziel ausgegeben, das die Natur geschützt und respektiert wird. 60 % der Fläche des Landes soll bewaldet bleiben, das hilft beim Erreichen des Ziels einer negativen CO2 Bilanz. Aber auch hier passieren Waldbrände aus Unachtsamkeit und die Zielerreichung ist dadurch gefährdet. Dass dies zu einem kritischen Artikel in der englischsprachigen Zeitung «Günzel» geführt hat, zeigt aber auch, dass Kritik an der Regierung möglich und auch gewünscht ist.
Für sich allein genommen sind die Berge vielleicht weniger spektakulär als in Nepal, die Wanderungen führen über angenehme Wege und erfordern keine besonderen technischen Fähigkeiten, die Tempel wiederholen sich mit der Zeit, die bemalten Häuser hat man gesehen… – aber wenn man durch die Siedlungen zieht gibt es immer wieder Überraschungen. Die absoluten Highlights gibt es natürlich auch, das Tigernest oder der Phunaka Dzong, um nur zwei zu nennen. Aber vielleicht macht gerade das diese Faszination aus – dass alles zusammenpasst, dass Natur, Kultur, Landschaft, Staatsform und Menschen in einer Harmonie leben, die seinesgleichen sucht! Vielleicht ist Bhutan gerade deshalb ein eigentliches Gesamtkunstwerk!
Kommen Sie mit auf eine Reise nach Bhutan und Sie werden fasziniert sein. Ich selber werde bestimmt wieder in dieses Land reisen und freue mich schon heute darauf, mich aufs Neue faszinieren zu lassen. Der Faszination Bhutan kann man sich kaum entziehen!
Urs von Däniken
Wanderleiter mit eidg. FA