Bhutan wird bei uns wahlweise als das «Land der Glücklichen» oder als «Land des Glücks» bezeichnet. Eine kleine Gruppe aus der Schweiz hat sich Mitte Oktober aufgemacht, diesem Mythos nachzuspüren und herauszufinden, worin denn das Glücklichsein in diesem entlegenen Land bestehen könnte. Sind doch «Glück» und «Glücklichsein» Begriffe, die durch jeden Menschen unterschiedlich interpretiert werden.

Schon in Kathmandu haben wir ein erstes Mal Glück – wir ergattern im elektronischen Checkin Plätze in der B-Reihe, wenigstens die zweitbesten Aussichtsplätze auf diesem Flug. Am frühen Vormittag fliegen wir so bei klarem Wetter und guter Sicht an den Himalaja Riesen vorbei – Everest, Lhotse, Makalu, Kangchendzönga stehen Spalier und schon grüsst der westlichste Siebentausender Bhutans, der Jomolhari. Eine Landung in S-Schleife durch die tiefen Täler mit faszinierenden Landschaften und schon stehen wir in einem unglaublichen Flughafengebäude. Wir wussten gar nicht, dass ein Flughafengebäude so schön dekoriert sein kann und gleichzeitig ein effizienter, freundlicher Ablauf gewährleistet ist. Ein freundliches Willkommen – in der lokalen Sprache Dzongka «Kuzoozangpola», dann unser Visum angeschaut, Pass gestempelt und schon sind wir in einem so ganz anderen Land.

Entlang des Himalaya (Kangchendzönga 8586 m)

Schon auf dem Rollfeld grüsst die Königsfamilie von einem grossen Plakat. Ein König in den Vierzigern, eine hübsche Ehefrau, drei Kinder – alle in der landesüblichen Tracht und ohne Firlefanz. Es würde nicht erstaunen, sie kämen direkt über das Rollfeld gelaufen und würden freundlich mit «Kuzoozangpola» grüssenl Aber ein König soll für das Glück der Menschen sorgen? Wir kennen doch so viele Herrscher, die das vorgeben und dann doch nur für sich selber schauen. Ein paar Zweifel sind schon noch da – aber forschen wir doch weiter.

Auf dem Parkplatz begrüssen uns Sangay, unser Guide und Jigme, unser Fahrer «Kuzoozangpola» – beide in der gleichen Tracht wie der König, bestehend aus einem grossen Umhang, weissen Aufschlägen am Ärmel, Kniesocken mit nackten Knie. Und schon bald wird klar – sie sind keine Kinder von Traurigkeit. Sangay führt uns gleich durch den Dzong, die reich verzierte Festung von Paro in der auch die Bezirksverwaltung untergebracht ist. Und dazu schlägt er noch ein weisses Tuch um seinen Körper – das muss so sein, wenn man offizielle Stellen besucht. Also doch ein wenig Fassade? Und Jigme entpuppt sich bald – neben seinem Talent als sicherer Chauffeur – als toller Schauspieler und unterhaltsamer Komiker.

Unser Guide Sangay in traditioneller Kleidung

Freundliche Begrüssung auch in der ersten Unterkunft. Wir hatten ein Lodge Trekking gebucht, geboten bekamen wir aber immer unglaublich schöne Unterkünfte. Einmal in einem alten, umgebauten Farmhouse, ein andermal in einem eigentlichen Resort dann wieder in einer Herberge auf dem Lande. Und immer begrüsst von überaus freundlichen Menschen in einer friedlichen Stimmung – «Kuzoozangpola!», die mit Begeisterung für das Wohl der Gäste sorgen. Die angenehmen Seiten wie Sauberkeit, funktionierende Dusche mit warmem Wasser, Heizung im Zimmer und gutes Essen werden jedes Mal geboten. Bhutan steuert den Tourismus über den Preis – 250.00 Dollar muss jeder Tourist pro Tag ausgeben. Das erlaubt keinen Billigtourismus und sorgt für entspanntes Reisen. Diese bewusste Selbstbeschränkung – eigentlich nur vernüftig.

Tigernest – der Ort wo Guru Rinpoche meditierte

Schon am zweiten Tag steht das Trekking zum Tigernest, dem wohl fotogensten Kloster Bhutans auf dem Programm. Wir steigen auf guten Wegen zweieinhalb Stunden den Berg hoch – da kommt nicht jeder Tourist hoch. Und das ist gut so – eine ruhige, entspannte und spirituelle Atmosphäre umfängt uns. Und dazu gibt es viel Geschichte und eine fantastische Aussicht über das Tal. Neben dem König gibt es gleichberechtigt den geistlichen Führer des Landes, das ganz in der buddhistischen Tradition steht. Ob es daran liegt, dass wir uns schon nach kurzer Zeit wohl fühlen in diesem Land? – «Kuzoozampola!»

Die Strasse über den Chele-La (La = Pass) ins Haa Valley, ist wie alle anderen Verbindungen nur einspurig geteert und wenn ein anderes Fahrzeug entgegenkommt, arrangiert man sich und fährt über den Kiesstreifen am Rand. So kann das Land eine zweckmässige Infrastruktur sicherstellen, es hat kaum je Schlaglöcher und es fährt sich sehr angenehm. Die Höchstgeschwindigkeit beträgt oft 40 oder vielleicht mal 60 Stundenkilometer – aber man kommt doch gut und wenig hektisch voran. Ein kurvenreicher Pass schlängelt sich hoch auf angeschriebene 3988 m – in Realität eher 250 Meter weniger. Oben erwartet uns ein farbenfroher Wald von Gebetsfahnen, die im Wind flattern. Religion ist hier allgegenwärtig und wird praktiziert – mit Ernsthaftigkeit aber auch einem Lächeln auf dem Gesicht. Und die Mantras werden auch mal vom Tablet oder dem Handy abgelesen.

Chele-La, Pass ins Haa Valley

Wir besuchen verschiedene Klöster und Tempel. Die Schuhe ausgezogen, die Kopfbedeckung abgenommen und wir können auch während einer Zeremonie einfach umherstreifen und Sangays Erklärungen lauschen. Er kann ja nichts dafür, dass in den Tempeln immer wieder die gleichen Personen abgebildet sind, Guru Rinpoche, der den Buddhismus nach Bhutan gebracht hat – dafür gleich in 8 mal in verschiedener Gestalt – und Ngawang Namgyal, der Mann mit dem Bart, der das Land im 16. Jahrhundert geeint hat. Irgendwann umfängt uns diese mystische Stimmung so sehr, dass auch wir eine Butterlampe anzünden.

Im Haa Valley unternehmen wir eine längere Wanderung auf dem wunderschönen Panoramatrail. Dieser führt über 11 Kilometer hoch über dem Fluss dem Tal entlang durch Wälder und über offenere Flächen, die in den buntesten Herbstfarben leuchten. Und darüber leuchtet der Himmel tiefblau – einfach magisch. Die Menschen, denen wir auf unseren Wanderungen und Streifzügen begegnen sind offen und interessiert. Man merkt nicht nur am guten Englisch der jüngeren Leute an, dass sie eine gute Bildung genossen haben. Die Menschen nutzen die modernen Errungenschaften wie Handy und Internet und sind bestens informiert. Mit der Konzentration auf den Kartoffelanbau haben sich die Menschen Phobjikha Valley einen gewissen Wohlstand erarbeitet – sie exportieren ihre Biokartoffeln über hohe Bergpässe als Leckerbissen nach Indien und können sich neue, schön bemalte Häuser leisten.

Kartoffeln für Indien

Und wie ist das jetzt mit dem Glück? Das Land misst seine Leistung nicht am Bruttosozialprodukt sondern am Bruttosozialglück. Glück kann man ja schlecht verordnen. Aber man kann die Voraussetzungen dafür schaffen – beispielsweise indem die Bildung für alle gratis ist und auch das Gesundheitswesen kostenfrei angeboten wird. Wenn dazu dann noch die Infrastruktur stimmt und die Leistungen wirklich verfügbar sind, ist die Basis für das «Glücklichsein» schon gelegt. Die Menschen wirken zufrieden, in sich ruhend und wissen, dass gut für sie gesorgt ist, wenn sie Schwierigkeiten haben. Auffallend auch die orange gekleideten, meist jungen Menschen, die an verschiedenen Anlässen auftauchen und mithelfen. Sie sehen aus wie aus der Werbung für Zweifel Chips entsprungen, erhalten vom Staat einen bezahlten Job als Überbrückung, wenn sie gerade keine Anstellung haben. Überhaupt – wir treffen kaum Menschen von denen wir das Gefühl haben, sie kämen nicht über die Runden. Und wie wird das alles finanziert? Bhutan ist ein grosser Exporteur von Elektrizität aus Wasserkraft, die in Flüssen produziert wird, die an den Siebentausendern entspringen und bis auf 100 Meter über Meer durch Bhutan fliessen.

Wir haben auch traurige Menschen angetroffen. Unvergesslich das Gespräch mit dem alten Mann, der mit Tränen in den Augen erzählte, dass seine Frau mit der Tochter und dem Enkel in den USA lebt und der Sohn in Kanada – und er sei jetzt ganz alleine da. Viele junge Bhutanesen studieren in Australien oder anderen westlichen Ländern und bleiben nach dem Studienabschluss dort. Das ist oft schwierig für die Daheimgebliebenen aber wohl auch eine nicht beabsichtigte Nebenwirkung der guten Schulbildung. Der Austausch von Fotos unserer Enkel hat ihn – glaube ich – ein wenig aufgemuntert.

Ach ja, den König habe ich ganz vergessen. Auch das eine besondere Geschichte. Der vierte König hat entschieden, dass er auf seine absolutistische Macht verzichtet und die Demokratie einführt. Das Volk wollte das eigentlich nicht, es war den Menschen sehr wohl in diesem System. So langsam lernt das Land, mit der Demokratie umzugehen und in diesem Herbst finden zum vierten Mal Wahlen statt – mit der Teilnahme von fünf Parteien! Der vierte König hat dann gleich auch noch auf sein Amt verzichtet und seinen Sohn im zarten Alter von 28 Jahren als seinen Nachfolger eingesetzt. Gerade wegen dieser Bodenständigkeit hat das Königshaus eine unglaubliche Akzeptanz im Volk und wird verehrt – und sorgt wohl als moralische Instanz dafür, dass die Politik das Land sorgsam in die Zukunft führt.

So fliegen wir nach 11 Tagen voller besonderer Begegnungen, prächtiger Naturerlebnisse und neuer Eindrücke und Erkenntnisse der Kette des Himalaya entlang zurück nach Kathmandu. Diesmal aber haben wir uns nicht auf das Glück verlassen, sondern Fensterplätze frühzeitig auf der richtigen Seite des Flugzeugs reserviert. Ganz nach dem Motto von Bhutan, dass man aktiv an seinem eigenen Glück arbeiten muss.

Wir sind tief beeindruckt, wie dieses fantastische Land mit Tradition und Moderne, Zusammenleben und Weltoffenheit umgeht. Und ja, wir glauben, dass die Menschen dort wirklich glücklich sind – zumindest in ihrem Sinne – und dass wir uns im Westen von der Zufriedenheit und dem Strahlen der Menschen dort eine dicke Scheibe abschneiden könnten…

Kommen Sie nächstes Mal mit – Sie werden sich in dieses Land verlieben, genau wie wir alle! «Kuzoozampola!»

Urs von Däniken

Wanderleiter mit eidg. FA

 

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Bhutan – ein Land zum Verlieben!